von Max Küng*

Der Rausch, dieses ambivalente Viech, welches wir alle kennen, manche inniger, manche weniger gut, dieses faszinierende Monstrum, das wir herbeisehnen und heraufbeschwören, wenn wir die Vernunft vergessen und die Kontrolle verlieren wollen oder müssen, wenn wir ihn wieder einmal brauchen, den Suff, das Delirium, die Seligkeit, den Überschwang, den Taumel, die Masslosigkeit. Bis der Rausch mit uns davonprescht und zu dem wird, was wir fürchten und er sich über unsere Schuhspitzen ergiesst, wir ihn auskotzen und ausschlafen und aufwachen und leerer sind, als wir zuvor gewesen waren, was ja wohl auch der Sinn der Sache ist.
Ich habe in meinen 49 Jahren ein paar Räusche kennen gelernt.* Manche waren freundlich zu mir. Manche nicht. Ich denke, das gehört zum Erwachsenwerden dazu, dass man herausfindet, welche Medizin gut für einen ist und welche nicht. Heute gibt es vor allem einen Rausch, der mich interessiert, er hat mit Geschwindigkeit zu tun und einem Gefühl von mit allen Sinnen erlebter Freiheit: Auf dem Rennvelo sitzend durch die Gegend zu fahren. Wenn man auf einen hohen Berg kurbelt, sich Kurve um Kurve in die Höhe schraubt, nicht nur die Baumgrenze hinter sich lässt, sondern einen grossen Teil der Welt und des Trotts, wenn man oben ankommt, stundenlang niedergegart im eigenen Endorphin-Sud und ohne viel nachgedacht zu haben, dann empfinde ich einen veritablen Flash, welcher mir bis ins Innerste einfährt – und noch nach der Rückkehr in die Stadt und das normale Leben, abends beim Einschlafen im Bett, trägt man ein Grinsen im Gesicht, welches manchmal bis zum nächsten Morgen anhält.
Früher hätte ich laut gelacht, hätte mir jemand gesagt, dass mich gerade dieser Rausch dereinst interessieren könnte. Aber die Dinge ändern sich – glücklicherweise.
Rausch, Rausch, Rausch: Zehnmal nacheinander laut gesprochen und alles ist gesagt.

PS: Sowohl der Arbeits- wie auch Schreibrausch übrigens waren sehr selten darunter. Ich glaube, der Schreibrausch ist so etwas wie das Schnabeltier unter den Räuschen: Kaum je gesehen (ev. ausgestorben gar).

*Max Küng ist Journalist, Reporter und Autor. Er schreibt fürs Tagesanzeiger-Magazin und hat jüngst sein drittes Buch «Die Rettung der Dinge» herausgebracht.