«FÜR IMMER – E BITS»

Laudatio von Grossrätin Jo Vergeat am Eröffnungsanlass des Festivals 2023, zum Thema «Für immer?!»:

Wann hört das Übermorgen auf und das «für immer» beginnt?

Mein Partner und ich, wir haben uns zu Beginn unserer Beziehung genau mit dieser Frage etwas schwer getan. Überquellend vor Schmetterlingen im Bauch, wollten wir uns ewige Liebe schwören. Aber zwei verwundete Ende-20er-Seelen wussten irgendwie, dass man sich das nicht wirklich schwören kann. Hin und her gerissen zwischen Liebesnaivität und Abgeklärtheit entwickelte sich daraus ein eigenes Versprechen, «für immer – e bits».

Und während das in Verbindung zu unserer Beziehung ein wunderschöner Kompromiss ist, merkte ich beim Verfassen dieser Rede: Es ist kein Dilemma, dass sich nur in der Liebe findet. Es geht viel weiter. Vielleicht ist es eines der grossen Dilemmata unserer Zeit?

Was können wir noch versprechen und wie lange hält man sich daran? Was ist denn noch unvergänglich? Was tun wir, wenn plötzlich keine Bauernregel mehr gilt?

Aber bleiben wir kurz bei der Liebe. Dort wo Liebe zu einer Ehe führt, wird bald «für immer» geschworen. Bis dass der Tod uns scheidet. Also für immer, bis ans Lebensende. Was aber geschieht mit der Liebe nach dem Tod. Bei meiner Grossmama z.B. lebte sie weiter. Die Liebe war da, über den Tod des Ehepartners hinweg.

Dass mein Partner und ich nicht die Einzigen sind, die das mit dem Versprechen für die Ewigkeit schwierig fanden, zeigt neben der Scheidungsquote auch die Kultur. Im Lied Scharlachrot singt Büne Huber: «I boue mir myni Tröim uuf rund um di, u male se Scharlachrot a. I brönne mir di Name z mitts i mys Härz. Chönnt schwöre dass I ewig blybe we üs nüt drzwüsche chunnt.»

Bei Freundschaften ist das Versprechen zur Ewigkeit zwar präsent, doch vor allem in Teenagerzeiten. Wir sind uns mit wachsendem Alter bewusster darüber, was es braucht, damit eine Freundschaft für immer hält und dass das stark von externen Einflüssen abhängt. Als Teenager, in einer Welt die sich inside out täglich verändert? Logisch schwört man sich da ewige Freundschaft. Best friends for life, so erhält man wenigstens eine Konstante. Als Erwachsene, muss ich sagen, bin ich froh, wenn ich mit meinen engen Freund*innen noch Termine finde, um sich einigermassen aktuell über die grossen Dinge im Leben auszutauschen.

Aber was hat ausserhalb von privaten Beziehungen, das Beständige, das «Für immer» für einen Wert?

In der Politik klafft diese Frage zwischen Langfristigkeit und Kurzfristigkeit ständig auf. Was wir heute entscheiden, beeinflusst die Zukunft. Aber auch die Gegenwart. Fragen rund um die Klimakrise zeigen es besonders deutlich auf. Ganz im Ernst, die Parlamentarier*innen wissen wie dringend und notwendig effektive Klimaschutzmassnahmen sind. Ein Gletscher, der innerhalb eines Jahre 6.5 Meter abschmilzt, führt uns deutlich vor Augen, was gerade nicht mehr im normalen Tempo verläuft. Die Frage, warum man sich gegen diese Massnahmen ausspricht, muss also eine andere sein. Es ist vielleicht die Verantwortung der Wähler*innenschaft heute gegenüber. Sie ist nicht langfristig, wenn man sie eng an unser Wahlsystem knüpft. Sie dauert zwischen vier bis maximal 16 Jahren.

Wer erfolgreich politisieren möchte, setzt alles auf eine Karte. Platz für anderes fehlt oft. Planen kann man politische Karrieren auch ganz schlecht. Das zeigen z.B. unsere regionalen Versuche einer Bundesratskandidatur. Darum ist das Amt auch bedeutend und der Verbleib darin erst recht. Da steht er also, dieser Konflikt, wie ein Elefant im Grossratssaal. Entscheide ich mich für das Richtige, das aber heute wohl auch einige Leute extrem verärgert. Oder für das Leichtere, oder weniger Bindende, weil es einfacher ist, dann wieder auf die Strasse zu stehen und um Stimmen zu werben. Klar, je nach Partei ist «das Richtige» ganz wo anders. Und doch beeinflusst das Heute oft stärker als das Übermorgen.

Umso interessanter eigentlich, dass wir gerade in der Klimafrage einen ganz klaren Zielpunkt definieren. 2050, übernommen von der Wissenschaft, vielleicht um das «für immer» etwas konkreter werden zu lassen. Plötzlich messen wir uns global an einem Zukunftszeitpunkt. Haben Sie sich schon mal überlegt, wie es danach weiter geht? Während bei mir immer wieder ein grosser Frust gegenüber der kurzfristigen Politik aufkommt, sind oft die langfristigen Projekte am schwierigsten. So lässt sich trotz viel Wille von Bund und Kanton, das Herzstück, also das U-Bahn Projekt der Stadt Basel, kaum auf den Boden bringen. Liegt dass daran, dass die Zeit nicht greifbar ist. Wie plane ich eigentlich ein Projekt, dessen Verwirklichung ich nicht mehr miterlebe?

Das Veränderung unabdingbar ist, zeigt sich in spannenden Dynamiken unserer Beziehung zu Natur und Gesellschaft und Raum. Obwohl Natur den Inbegriff von Veränderung darstellt, haben wir bspw. unsere Grenzen an sie geknüpft. Und Grenzziehung ist aus meiner Sicht einerseits etwas sehr langfristiges, aber gleichzeitig eine Momentaufnahme. In meinem Studium haben wir ein spannendes Raum/Zeit Beispiel diskutiert. So ist ein Gletscher zwischen Italien und Frankreich mittlerweile von einer beständigen Grenzlinie zu einem sich rückwärtsbewegenden Landgewinn geworden. Ein Land gewinnt durch Gletscherschmelze an Fläche und das ganz ohne Krieg. Das ist science ganz ohne fiction. Eigentlich Realität. Und doch kommt es einem wie fiction vor.

«Für immer» ist wohl dann wichtiger, wenn wir in sicheren Zeiten leben. Weil die Ewigkeit dann viel später beginnt. Warum sich also die neuste Generation als weniger verbindlich gibt, würde so Sinn ergeben. Die Zukunftsaussichten waren schon besser. Und sich jetzt «für immer» für einen Verein, ein Hobby, eine Freundschaft, ein Job oder ein Abendprogramm zu entscheiden, wenn in 20 Jahren schon alles vorbei sein könnte. Irgendwie schwierig. Als Gesellschaft haben wir aus meiner Sicht immer einen stärkeren Drall zum Jetzt. Carpe Diem. Sogar in den Wirtschaftswissenschaften wird die Zukunft immer diskontiert. Also 5 Franken jetzt haben mehr wert als 5 Franken in einem Jahr. Damit sagt Mensch eigentlich, dass die Zukunft weniger wert hat als die Gegenwart. Mit den Entscheiden für eher schwierige Zukunftsaussichten der jetzigen Bevölkerung über die Ratschläge der Wissenschaft hinweg signalisieren wir der Jugend das auch. Eure Zukunft, sie hat wohl weniger wert. Und ganz ehrlich, ich nerve mich amigs über diese Unverbindlichkeit der neusten Generationen, aber nach meinen Gedankengängen zur Vorbereitung dieser Rede, kann ich sie jetzt durchaus besser verstehen.

Und genau das ist doch das Ziel von science+fiction. Mit Inhalten und spannenden Nachfragen unsere Gedanken anzuregen. So fördern wir nicht nur die Kommunikation zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft, sondern auch die Kreativität. Ein Programm voller überraschender Wendungen und spannenden Inputs erwartet uns alle die nächsten vier Tage. Und in einer Welt, die das «für immer» ständig neu definiert und auf unterschiedlichstes anwendet, ist es am Ende vielleicht am Besten gemeinsam zu definieren, für wie lang das «immer» gilt? Oder herauszufinden, dass wir Menschen von heute, das gar nicht bestimmen können.

Ich bin ein Fan der Wissenschaft und gleichzeitig kritisiere ich immer, wie weit weg von den Menschen sie kommuniziert. Dieses Festival tut das Gegenteil. Es bringt die Wissenschaft in die Mitte der Menschen und traut sich, die richtig schwierigen Fragen in einem unterhaltsamen Rahmen zu stellen. Dafür möchte ich allen Involvierten von Herzen danken. Für unsere Demokratie ist es zentral, dass alle Akteur*innen miteinander ins Gespräch kommen. Dafür braucht es von allen Involvierten viel Ehrenamt und Eigeninitiative. Es freut mich die Verwirklichung davon heute und die nächsten vier Tage zu sehen. Auf dass es das science+fiction Festival auch noch gibt, wenn der letzte Atommüll zersetzt ist. Für immer, e bits.