von Bernard Senn*

«Werden uns Maschinen überflügeln?» – vermutlich ist die Frage falsch, beziehungsweise zu spät gestellt. Wir wurden bereits von ihnen überflügelt. Unser mentales Setting ist nur etwas langsam, das auch wirklich zu begreifen. Die Frage allerdings stellt sich: Ist es schlimm, wenn der Computer uns überlegen ist? Noch ist vieles offen.

Am 31. Januar war es soweit. Am 31. Januar 2017 ging der Mensch endgültig vor dem Computer in die Knie, und zwar in Pittsburgh, Pennsylvania. Hier, in einem eher schmucklosen Spielcasino wurde der Beweis erbracht: Ein Computer kann pokern. Und zwar besser, geschickter und intuitiver als der Mensch. Pokern aber ist im Prinzip das, was wir Menschen andauernd machen: Auf Optionen setzen, gewinnen, verlieren. Die einen fassen es als Schicksal, die anderen als Gottes Werk (auch wenn seit Einstein das Diktum gilt «Gott würfelt nicht»). Die dritten nennen es schlicht und ergreifend: Leben. Und zwar das wahre Leben, ohne Netz und doppelten Boden. Entweder man hält mit oder man steigt rechtzeitig aus. Der Computer kann das jetzt auch. Nur lernt er sehr viel schneller als wir Menschen dazu. Insofern ist er uns überlegen. Und wird ab jetzt immer siegen beim Poker.

Am Sonntag, 7. Mai moderiert Bernard Senn das Podium zur Frage, worin uns Künstliche Intelligenz überlegen sein wird – und wie wir als Gesellschaft damit umgehen können.

Stellt sich die grosse Frage: Ist das schlimm? Die Antwort lautet: Nein! Jedenfalls solange wir die Entwicklung nicht nur technisch, sondern auch ethisch fassen. Wenn allerdings jetzt schon eine Maschine besser pokern kann, dann müssen wir uns bald noch viel ernsthafter mit der Frage des Bewusstseins von Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Und danach werden wir über das Gewissen von komplexen Algorithmus-Maschinen reden müssen.

Noch sind wir weit davon entfernt. So weit aber auch wieder nicht. Die digitale Welt ist eine Macht, der wir uns alle leidenschaftlich gerne unterwerfen, ab und zu – und vermutlich viel zu selten – auch leicht fröstelnd. Weil, irgendwo spüren wir: Da wächst etwas heran, das grösser ist als wir selbst.

Utopie und Dystopie liegen nahe beieinander. Um genau zu sein, sogar unmittelbar nebeneinander. Alles kann jederzeit immer entweder gelingen oder auch nicht. In die Zukunft zu gehen, ist der andauernde Gang auf Messers Schneide. Die Dystopien sind es, die wir fürchten, die Überlegenheit der Maschine etwa, die uns unterwerfen wird. Der Mensch als Sklave dessen, was er selbst geschaffen hat: das Monster Digitalis. Die Chancen dazu stehen gut. Unser selbstverständlicher, letztlich unbekümmerter Umgang mit Big Data lässt nicht nur Gutes erahnen. Das Monster zeigt sich als flauschige Servicewolke, als Hirnerweiterung, als Lustmaschine.

Weitaus spannender als Dystopien aber sind Utopien. Der Möglichkeitsraum lässt sich auch in verheissungsvolleren Farben auskleiden: Das Leben wird besser und immer besser. Weltweit vernetzte Computer funktionieren in Zukunft nicht nur für Geldströme, sondern auch für Hirnstoff. Im World Wide Web entstehen neue Grosshirn-Sektionen, wie es Wikipedia längst und deswegen in einer eher primitiven Form schon ist. Ganz andere, sehr viel ausgefeiltere Dimensionen davon sind denkbar. Und, Good News II: Computer machen uns endlich arbeitsfrei. Paradiesisch! Der Gewinn, den sie erwirtschaften, muss nur gerecht verteilt werden. Auch dafür gibt es digital errechnete und in der Simulation funktionierende Modelle. Vielleicht sollten wir einfach etwas mehr entspannen und beginnen auf das zu hören, was Computer uns sagen. Wenn wir einem Computer die Anweisung geben: ‹Gewinne im Poker!›, gewinnt er im Poker. Wenn wir ihm sagen: ‹Rette die Erde!›, er würde definitiv einen Plan vorlegen. Der Rest allerdings liegt dann an uns.

 

*Bernard Senn ist Kulturredaktor beim Schweizer Radio und Fernsehen.